Mittwoch, 30. Januar 2013

Minenfeld

Manchmal kommt einem die Welt offen und weit vor, ungefährlich und absolut jeder Ort scheint einladend, spannend und neu.

Und manchmal erlebt man die absolut gleiche Welt wie einen gefährlichen Platz der Vergangenheit, in der jeder Tritt einen Tritt auf eine alte Mine bedeuten könnte und man vorsichtig durchs Leben tappst, immer mit der Angst im Hinterkopf, auf all das zu stoßen, auf das man nicht stoßen möchte. Und doch entscheidet man sich für Wahrnehmung #2 und tappst, statt einfach mit mutigen und glücklichen Schritten zu gehen, zu wandern, zu entdecken.


Allein mein Tappsen verrät, dass ich zwar auf der Hut vor, und doch grundsätzlich auf der Suche nach Minen bin.


Was ist das bloß für ein masochistisches Gedankengut in mir?

Dienstag, 29. Januar 2013

Alltag.

Ich hab Angst, dass ich zu lange mit dem Schreiben gewartet habe und das Gefühl jetzt deshalb "weg" ist, oder nicht mehr so greifbar: Aber ich versuch es mal.


Letzte Woche bin ich zu Peanut gefahren; ich hatte das Glück eine Mitfahrgelegenheit zu finden, die bei mir zuhause startete (schon recht selten) und mich bei meiner Süßen rauslassen würde. Ein Italiener, der in Deutschland lebt und eine Fernbeziehung mit einer Österreicherin hat (das waren dann schon mal genug Gemeinsamkeiten), war der Fahrer.

Es gibt die Art Menschen, auf die man trifft und sofort weiß, dass man alles, was man denkt, auch direkt sagen kann - so einer war der Italiener (nennen wir ihn mal um ihn nicht gleich zu überstereoypisieren David) auch. David war nett. Freundlich, sympathisch. Ende 40, schien mir offen, erfolgreich im Beruf, geschieden, aber glücklich verliebt. Im Grunde genommen war er die perfekte Mitfahrgelegenheit.

Aber schon, als er die Frage stellte ("Was zieht dich hin nach Ort X?"), wollte sich mein Wohlfühlgefühl einfach nicht einstellen. Es kam nicht. Ich hörte auf mich (und die Unsicherheit), war aber auch ehrlich, selbst, wenn das Stress bedeuten konnte: und sagte: ich bin in eine Frau verliebt, zu der fahre ich.

"Aha", sagt er, "na, so kompliziert wie bei mir". Ich sage "ja" und wir sinnieren über Fernbeziehungen. Und trotz seiner coolen Reaktion - das Gefühl der Sicherheit kommt nicht. Bin mir auch nicht hundertprozentig sicher, dass er mich richtig verstanden hat. Wir machen uns aus, am Ende der Fahrt Nummern auszutauschen um uns für weitere Mitfahrgelegenheiten zu verabreden. Und irgendwann lädt er mich zum Essen bei sich & seiner Freundin ein, mich - und meinen Freund.

Das ganze Gespräch über habe ich "sie" gesagt. Peanuts Name mag vielleicht auch einem Typen gehören, aber so oft fiel er nicht.  Da waren viele "sie"'s, die man überhören musste. Und David, wenn auch kein C2-Deutschsprecher, kannte den Unterschied durchaus gut.

Er hat es überhört, oder er wollte es überhören. Diese zwei Optionen gibt es.

Am Ende der Fahrt holt mich Peanut am Treffpunkt ab, nimmt meinen Kopf in ihre Hände und will mich küssen. Und ich wehre ab, sage "warte noch ein bisschen", und küsse sie erst richtig, als David um die Ecke gebogen ist. David gibt mir meine Reisetasche, wir geben uns die Hand, und zackbumm weg ist er. Kein Nummerntausch, und keine großen Abschiedsworte. Grundsätzlich hätte das gepasst. Zu den knapp sechs Stunden Fahrt zuvor passte es aber nicht.



Es hat einige Tage und ein paar Gespräche gedauert, bis ich nun glaube verstanden zu haben, was da eigentlich los war.
Zunächst war da meinerseits große Enttäuschung über mich. Ich verstelle mich nicht und verleugne nicht, wen und dass ich liebe. Das hab ich hier zwar auch nicht, aber ausgebessert habe ich ihn nicht. Und als ich die Irritation und Überraschung in seinem Gesicht sehen konnte, dass Peanut eine Frau ist, konnte ich sie ihm nicht mit Selbstverständlichkeit (und Stolz, so wie es sonst meine Art ist) vorstellen. Nein, ich habe versteckt. Versucht, nichts Offensichtliches zu tun. Keine offensichtliche Lesbe zu sein.

Das hat mich gewurmt - sehr. Weil es hier auch nicht um David oder die "praktische" MFG ging. Es ging nicht um "es sich nicht verderben wollen". Würde ich es mir mit ihm verderben, weil ich Frauen küsse, dann WOLLTE ich es mir mit ihm verderben.

Nein, das hat ganz und gar nicht zu mir gepasst. Und ich war irritiert von mir selber. Zumal ich mich sonst wirklich für den "ich bin ich, wenns dir nicht passt, geh"-Typus halte.

Ich fühlte mich dann, als ich es meinen Freunden erzählt habe, bald unverstanden. Irgendwie kam ich nicht auf den Punkt, auf den ich gerne hinauswollte. Klar, es wird immer wieder Blicke geben, und Davids Verhalten war in jedem Maße korrekt, nicht unpassend, nicht gemein. Von Diskriminierung? Eigentlich keine Spur. Und Blicke? Sollte ich doch gewohnt sein, nicht wahr?


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In einer meiner Lieblingsserien Queer as Folk gibt es eine Szene, die mir später, als ich es meinen Freunden beschreiben wollte, eingefallen ist:
Lindsay, eine lesbische Blondine aus der Oberschicht, beschwert sich über die Diskriminierung, die sie und ihre Partnerin erfahren müssen, wenn es um ihr gemeinsames Kind geht (ich glaube zumindest, darum ging es.. man darf mich gerne ausbessern). Mel, ihre kurzhaarige, resche Partnerin (ich überspitze) hört ihr zu und erzählt ihr dann die Geschichte aus ihrer Kindheit:

Mel ist jüdisch. Als Kind hat sie jedoch keinen Bezug dazu. Was macht Juden (und Nichtjuden) denn schon aus? Sie wächst also mit dem Grundsatz "alle sind gleich" auf. Bis der Erste kommte, mit dem Finger auf die zeigt, und sie Jüdin nennt.

Da weiß Mel plötzlich, was eine Jüdin ist. Und auch, was es bedeutet, eine zu sein.
Und wenn man vergisst, wer man ist, erzählt sie,
wird immer jemand kommen, und einen erinnern.





Es ist absolut nicht das erste Mal, dass ich daran erinnert wurde, auf Frauen zu stehen. Und schließlich ist mir absolut bewusst, eine Frau zu lieben und mit genau dieser glüklich zu sein. Aber offenbar hatte ich ES wirklich fast vergessen,



bis ich daran erinnert wurde. 
Dass es immer noch Menschen gibt, für die das nicht normal ist (und sei es nur deshalb, weil es nicht kennen), bumm. Trifft mich nach wie vor. Bumm. Wie ein Pfeil. Bumm. Pfeil drin. Bumm.

Dienstag, 8. Januar 2013

Fülle deine Tage mit Leben (und Urlaub), nicht umgekehrt.


Eine Sache an Fernbeziehungen, die mir jetzt deutlich auffällt:
Man hangelt sich von Ast zu Ast. Jedes neue Treffen und erneute Sehen setzt sogleich einen Countdown in Bewegung. Man freut sich - und man zählt.  Ich weiß noch, dass ich meiner Studienzeit in einer anderen Stadt immer die Tage gezählt hab, bis ich wieder heim fahren konnte oder bis meine Freundin zu mir kommen konnte. Was blieb von der Woche übrig? Ein Warten aufs Wochenende. Man lebte "mehr" zu zweit, machte mehr, Schönes will schließlich zu zweit erlebt werden und unter der Woche blieben also nur die unbeliebten Muss-Dinge übrig. Keine große Überraschung, dass die Montage bis Donnerstage weniger schön waren.

Bei einer Fernbeziehung mit vielen Kilometern dazwischen reichen Wochenenden nicht - das bedeutet seltener, aber dafür meist für längere Zeit sehen. Jedes Mal, wenn man sich von dem Menschen, den man mag, dann wieder verabschieden muss, fällt man kurzerhand in ein größeres oder kleineres Loch. Das braucht ein bisschen, bis man wieder daran gewöhnt ist, dass die/der Geliebte nicht da ist.


Irgendwo verlieren sich hier Normen. Sich sehen ist also so eine Art "Ausnahme", geschieht also auch viel bewusster. Die Gefahr besteht darin, nur mehr von Ausnahme zu Ausnahme zu leben und auf das Zwischendrin zu vergessen: Das ist nämlich genauso LEBEN! Ich erwische mich dabei, nur mehr in diesen beiden Kategorien zu denken: mit-Peanut oder ohne-Peanut. Beides ist Norm - darauf will ich hinaus. Oder auch: da will ich hin! Ich versuche meist, so viel wie möglich im ohne-Peanut-Modus "hinzukriegen", um dann freier für die Zeit mit Peanut zu sein. Das funktioniert, fällt aber eher unter die Kategorie "Bevor ich in Urlaub fahre, muss ich noch..."


Da ist einerseits der pure Genuss dieses Gefühls, dass meine Beziehung für mich URLAUB darstellt. Andererseits hat man fast zu sehr Urlaub vom ohne-Peanut-Leben, dem "anderen" Leben. Das ist irgenwdie nicht richtig und verstimmt mich. Es müsste möglich sein, beides zu leben. Peanut (wenn auch nicht physisch) in mein Leben hier zu holen und gleichzeitig mein Leben zu Peanut mitzubringen. (Und damit meine ich nicht: Ich bringe meine Arbeit mit zu Penaut. Das mache ich schon. Mit mäßigem Erfolg.)


wir warten auf das wochenende
und auf den schulferienbeginn
wir warten auf's millionenerbe
und einen lottogewinn
wir warten auf die freie liebe
und lilo wanders mal als mann
wir warten auf den schlaganfall
wir warten auf den tod ein leben lang
und wir warten wie die psychopathen
und wir warten in harten, harten, harten zeiten
warten nur
bereiten uns auf's warten vor

wir warten auf die müllabfuhr
und manchmal auf die feuerwehr
wir warten auf die busse und züge
und den ganzen personennahverkehr
wir warten auf's 1-liter auto
und umweltfreundliche energie
wir warten auf die worte vom pastor
auf castor transporte warten wir nie
wir warten auf erleuchtung
und die wiederauferstehung von gottes sohn
wir warten auf elvis rückkehr
auf ein comeback von joey ramone
wir warten auf ein gutes hollywood drehbuch
und einen oscar für lafontaine
wir warten auf gerechtigkeit
und auf den 20. refrain

wir warten auf den weltfrieden
und die atomare abrüstung
wir warten auf ein kleines lob vom partner
oder den perfekten seitensprung
wir warten auf die marskolonialisierung
oder darauf das beamen möglich ist
wir warten auf so vieles
dass man das warten fast vergisst 
(wohlstandskinder - apathisch warten. wow, was hab ich diesen song vor zehn Jahren (sic!) geliebt!)